Sprache:
Fabeln von LaFontaine
 Heim | Themen | !zurück!
Anagramme | Eponyme | 'Extrawörter'
Geonyme | Homofone | Homonyme | Palindrome | Pseudandronyme



Fabeln von LaFontaine (*1621 †1695):
Fuchs und: Hahn, Rabe, Storch, Wolf, Ziegenbock

Löwe und Maus  Schwein, Ziege, Hammel
Taube und Ameise  Wolf und Lamm

Kater und Ratte  Katze und Ratte  Rat der Ratten

Hase mit den Hörnern  Hase und Frösche

Der Fuchs und der Ziegenbock:

Reineke der Fuchs ging an einem heißen Sommertag mit seinem Freund, dem Ziegenbock, spazieren. Sie kamen an einem Brunnen vorbei, der nicht sehr tief war. Der muntere Bock kletterte sofort auf den Brunnenrand, blickte neugierig hinunter und sprang, ohne zu zögern, in das kühle Naß.

Der Fuchs hörte ihn herumplatschen und genüßlich schlurfen. Da er selber sehr durstig war, folgte er dem Ziegenbock und trank sich satt. Dann sagte er zu seinem Freund: "Der Trunk war erquickend, ich fühle mich wie neugeboren. Doch nun rate mir, wie kommen wir aus diesem feuchten Gefängnis wieder heraus?"

"Dir wird schon etwas einfallen", blökte der Bock zuversichtlich und rieb seine Hörner an der Brunnenwand. Das brachte den Fuchs auf eine Idee. "Stell dich auf deine Hinterbeine, und stemme deine Vorderhufe fest gegen die Mauer", forderte er den Ziegenbock auf, "ich werde versuchen, über deinen Rücken hinaufzugelangen."

"Du bist wirklich schlau", staunte der ahnungslose Bock, "das wäre mir niemals eingefallen." Er stellte seine Vorderhufe an die Brunnenwand, streckte seinen Körper, so gut er konnte, und erreichte so fast den Rand des Brunnens.

"Kopf runter!" rief der Fuchs ihm zu, und schwupps war er auch schon über den Rücken des Ziegenbocks ins Freie gelangt. "Bravo, Rotschwanz!" lobte der Bock seinen Freund, "du bist nicht nur gescheit, sondern auch verteufelt geschickt."

Doch nun plötzlich stutzte der Ziegenbock: "Und wie ziehst du mich nun heraus?"

Der Fuchs kicherte: "Hättest du nur halb soviel Verstand wie Haare in deinem Bart, du wärest nicht in den Brunnen gesprungen, ohne vorher zu bedenken, wie du wieder herauskommst. Jetzt hast du sicher Zeit genug dazu. Lebe wohl! Ich kann dir leider keine Gesellschaft leisten, denn auf mich warten wichtige Geschäfte."

Der Fuchs und der Wolf am Brunnen:

Es war eine klare Vollmondnacht. Ein Fuchs strolchte durchs Dorf und kam zu einem Ziehbrunnen. Als er hinunterblickte, traute er seinen Augen nicht; da lag ein großer, runder goldgelber Käse. Er kniff die Augen zu und öffnete sie wieder. Nein, es war kein Traum.

Der Fuchs besann sich nicht lange, sprang in den Eimer, der über dem Brunnenrand schwebte, und abwärts ging die Fahrt. Ein zweiter Eimer schaukelte aus der Tiefe empor, an ihm vorbei.

Unten angekommen, wollte der hungrige Fuchs sich sofort auf den fetten Käse stürzen. Aber was war denn das? Seine Nase stieß in eiskaltes Wasser, der Käse verformte sich und verschwand.

Verblüfft starrte der Fuchs in's Dunkel, und langsam kehrte der "Käse" unversehrt zurück. Nun begriff er seinen Irrtum. Wie hatte er nur so schwachköpfig handeln können! Nun saß er in der Patsche.

Er schaute zum Brunnen hinauf. Niemand war da, der ihn aus dem Schlamassel befreien konnte. Nur der Vollmond lächelte ihm hell und freundlich zu.

Viele Stunden saß der Fuchs in dem kühlen, feuchten Eimer gefangen und schlotterte vor Kälte und Hunger. Da kam ein Wolf an dem Brunnen vorbei. Der Fuchs dachte: "Warum sollte dieser Nimmersatt klüger sein als ich?" Und mit fröhlicher Stimme rief er ihm zu: "Schau, mein Freund, welch herrlichen Käseschmaus ich gefunden habe. Wenn du mein Versteck nicht verrätst, dann darfst du zu mir herunterkommen und dir auch ein gutes Stück von meinem Käse abbrechen. Den Eimer dort oben habe ich für dich bereitgehalten, mit ihm kannst du zu mir herunterfahren."

Der Wolf, der immer hungrig war, leckte sich die Lippen, und seine Augen traten hervor; der Käse, den der Fuchs entdeckt hatte, sah wirklich appetitlich aus. Ohne zu überlegen kletterte er in den Eimer, und da er viel schwerer als der Fuchs war, sauste er hinab in die Tiefe und zog den Eimer mit dem Fuchs hinauf.

Der Fuchs rettete sich sofort auf sicheren Boden und lachte sich ein's ins Fäustchen. "Wohl bekomm's!" rief er spöttisch und eilte davon.

Der Fuchs und der Storch:

Eines Tages hatte der Fuchs den Storch zum Mittagessen eingeladen. Es gab aber nur eine Suppe, die der Fuchs seinem Gast auf einem flachen Teller vorsetzte. Von dem flachen Teller konnte der Storch mit seinem langen Schnabel aber nichts aufnehmen. Der listige Fuchs indessen schlappte alles in einem Augenblick weg.

Der Storch sann auf Rache. Nach einiger Zeit lud er seinerseits den Fuchs zum Essen ein und der immer hungrige Fuchs sagte freudig zu. Gierig erschien er zur abgemachten Stunde beim Storch. Dort stieg ihm lieblich der Duft des Bratens in die Nase. Der Storch hatte aber das Fleisch in kleine Stücke geschnitten und brachte es auf den Tisch in einem Gefäß mit langem Halse und enger Öffnung. Er selbst konnte mit seinem Schnabel leicht hineinlangen. Aber die Schnauze des Fuchses paßte nicht hinein. Er mußte hungrig wieder abziehen. Beschämt, mit eingezogenem Schwanz und hängenden Ohren schlich er nach Hause.

* Wer betrügt, muß sich auf Strafe gefaßt machen.

Der Fuchs und der Hahn:

Ein Hahn saß auf einem hohen Gartenzaun und kündete mit lautem Krähen den neuen Tag an. Ein Fuchs schlich um den Zaun herum und blickte verlangend zu dem fetten Hahn empor.

"Einen schönen guten Morgen", grüßte der Fuchs freundlich, "welch ein herrlicher Tag ist heute!"

Der Hahn erschrak, als er seinen Todfeind erblickte, und klammerte sich ängstlich fest.

"Brüderchen, warum bist du böse mit mir? Laß uns doch endlich Frieden schließen und unseren Streit begraben." Der Hahn schwieg noch immer. "Weißt du denn nicht", säuselte der Fuchs mit sanfter Stimme, "daß der König der Tiere den Frieden ausgerufen hat? Er hat mich als seinen Boten ins Land geschickt. Komm schnell zu mir herunter, wir wollen unsere Versöhnung mit einem Bruderkuß besiegeln. Aber beeile dich, ich habe noch vielen anderen diese freudige Nachricht zu bringen."

Der Hahn schluckte seine Furcht hinunter und sagte sich: "Diesem verlogenen Gauner komme ich nur mit seinen eigenen Waffen bei." Und mit gespielter Freude rief er: "Mein lieber Freund, ich bin tief gerührt, daß auch du des Königs Friedensbotschaft verbreitest. Ja, laß uns Frieden schließen. Es trifft sich gut, denn gerade sehe ich zwei andere Boten auf uns zueilen. Wir wollen auf sie warten und gemeinsam das glückliche Fest feiern. Du kennst sie recht gut, es sind die Wachhunde des Gutsherrn."

Kaum hatte der Fuchs diese Kunde vernommen, war er aufgesprungen und eiligst davongerannt.

"He, warte doch!" krähte der Hahn hinter ihm her. "Ich habe noch sehr viel zu tun", keuchte der Fuchs aus der Ferne, "ich hole mir den Friedenskuß ein andermal von dir. Du kannst dich darauf verlassen." Der Hahn freute sich, daß ihm die List gelungen war.

Der Fuchs aber war verärgert. Er hatte alles so klug eingefädelt, und just in diesem Augenblick mußten seine ärgsten Feinde auftauchen und alles verderben.

Aber, wo blieben sie denn?

Der Fuchs ging langsamer und blickte sich um. Niemand folgte ihm, auch hatte er kein Bellen gehört. Sollte dieser alte Hahn ihn reingelegt haben? Ausgerechnet so ein aufgeplusterter, dummer Hahn?

Der Wolf und das Lamm:

* Der Starke hat immer recht. Das wird sogleich zu sehen sein.

Ein Lamm stillte seinen Durst an einem klaren Bach. Dabei wurde es von einem hungrigen Wolf überrascht.

"Wie kannst du es wagen", rief jener wütend, "mein Wasser zu trüben? Für diese Frechheit mußt du bestraft werden!"

"Ach, mein Herr", antwortete das Lamm, "seien Sie bitte nicht böse. Ich trinke ja zwanzig Schritte unterhalb von Ihnen. Daher kann ich Ihnen das Wasser gar nicht trüben."
"Du tust es aber doch!", sagte der grausame Wolf. "Und außerdem erinnere ich mich, daß du im vergangenen Jahre schlecht von mir geredet hast."
"Wie soll ich das wohl getan haben«, erwiderte das Lamm, "da war ich ja noch gar nicht geboren."

"Wenn du es nicht warst, dann war es einer deiner Brüder!"

"Ich habe aber keinen Bruder."

"Dann war es eben irgendein anderer aus deiner Familie. Ihr habt es ohnehin immer auf mich abgesehen, ihr, eure Hirten und eure Hunde. Dafür werde ich mich rächen."

Mit diesen Worten packte der Wolf das Lamm, schleppte es in den Wald und fraß es einfach auf.

Die Taube und die Ameise:

An einem heißen Sommertag flog eine durstige Taube an einen kleinen, rieselnden Bach. Sie girrte vor Verlangen, neigte ihren Kopf, tauchte den Schnabel in das klare Wasser und saugte hastig das erfrischende Naß.

Doch plötzlich hielt sie inne. Sie sah, wie eine Ameise heftig mit ihren winzigen Beinchen strampelte und sich verzweifelt bemühte, wieder an Land zu paddeln.

Die Taube überlegte nicht lange, knickte einen dicken, langen Grasstengel ab und warf ihn der Ameise zu. Flink kletterte diese auf den Halm und krabbelte über diese Rettungsbrücke an's Ufer.

Die Taube grummelte zufrieden, schlurfte noch ein wenig Wasser und sonnte sich danach auf einem dicken, dürren Ast, den der Blitz von einem mächtigen Baum abgespalten hatte und der nahe am Bach lag.

Nach einer Weile erschien ein junger Bursche. Er patschte barfüßig durch die Wiesen zum Wasser. Er trug selbstgeschnitzte Pfeile und einen Bogen. Als er die Taube sah, blitzten seine Augen auf. "Gebratene Tauben sind meine Lieblingsspeise", lachte er und spannte siegesgewiß seinen Bogen.

Erbost über dieses unerhörte Vorhaben gegen ihren gefiederten Wohltäter kroch die Ameise flink auf seinen Fuß und zwickte ihn voller Zorn.

Der Taugenichts zuckte zusammen und schlug mit seiner Hand kräftig nach dem kleinen Quälgeist. Das klatschende Geräusch schreckte die Taube aus ihren sonnigen Träumen auf, und eilig flog sie davon.

Voller Freude, daß sie ihrem Retter danken konnte, biß die Ameise noch einmal kräftig zu und kroch dann in ein Maulwurfsloch.

Das Schwein, die Ziege und der Hammel:

Eine Ziege, ein Hammel und ein gut gemästetes Schwein wurden auf einem Karren zum Markt gefahren.

Die Ziege reckte ihren Hals und schaute neugierig in die Landschaft. Der Hammel hing seinen Gedanken nach. Nur das Schwein war aufsässig und fand keine Freude an diesem Ausflug.

Es schrie so entsetzlich, daß es sogar dem gutmütigen Hammel zu viel wurde. "Warum machst du denn so einen Lärm? Man kann dabei ja keinen klaren Gedanken fassen."

Auch die Ziege schimpfte mit dem Schwein und meckerte: "Hör endlich auf mit dem albernen Gezeter und benimm dich anständig. Schau dir die herrlichen, saftigen Wiesen an und sei dankbar dafür, daß du nicht zu Fuß gehen mußt."

"Törichte Ziege, dummer Hammel", schneuzte das Schwein, "ihr haltet euch wohl für sehr klug und gebildet, daß ihr mir Vorschriften machen wollt. Glaubt ihr denn, daß der Bauer uns zu unserem Vergnügen herumkutschiert? Hättet ihr nur einen Funken Verstand, dann wüßtet ihr, auf welchem Weg wir uns befinden.

Bestimmt denkst du, du leichtsinnige Ziege, man will auf dem Markt nur deine Milch verkaufen. Du, törichter Hammel, glaubst vielleicht, daß man es einzig auf deine Wolle abgesehen hat. Ich aber für meinen Teil weiß es ganz genau, daß man mich mit dem vielen guten Essen ausschließlich zu dem Zweck vollgestopft hat, mich zu töten und aufzufressen. Darum laßt mich um Hilfe schreien, solange ich es noch kann!"

"Wenn du schon so schlau bist", rief die Ziege zornig, weil das Schwein sie beunruhigt und ihr die schöne Fahrt verdorben hatte, "dann höre auch auf zu jammern! Du weißt, dein Unheil steht fest, was hilft also noch das Weinen und Klagen, wenn du doch nichts mehr ändern kannst?"

Der Rat der Ratten:

Die Mäuse in der Stadt liebten die Scheune des Bäckermeisters Semmelreich sehr, denn dort fanden sie Körner, Mehl und Zucker in Hülle und Fülle. Auch war die Backstube nicht weit von der Scheune entfernt, und die fleißigen Mäuse hatten sich schon viele Zugänge zu diesem verlockenden Raum genagt.

Bäckermeister Semmelreich hingegen liebte die kleinen Gäste gar nicht, denn er konnte die vielen angenagten Brote und Kuchen nicht mehr verkaufen. Um seine Plagegeister loszuwerden, schaffte er zwei Katzen an, die den ungebetenen Eindringlingen die Hölle heiß machten. Mit wahrer Leidenschaft jagten sie die kleinen Diebe. Viele von ihnen fanden den Tod, und die meisten, die sich retten konnten, verließen schleunigst Semmelreichs "Brotparadies".

Einige Mäuse aber wollten das unerschöpfliche Körner- und Kuchenreich nicht kampflos aufgeben. Sie versteckten sich gut und ersannen immer wieder neue Tricks, um an die Nahrung heranzukommen.

Einmal hatten freche Buben die beiden Katzen eingefangen, und die Mäuse konnten sich wieder frei bewegen. Sie erkannten die günstige Gelegenheit und nutzten die Zeit. Eine Versammlung wurde veranstaltet, auf der über die beiden grimmigen Jäger beraten werden sollte.

Das älteste Mäuschen stellte sich auf seine Hinterbeine und sprach in ernstem Ton: "Die beiden Katzen vermauern uns unser sonst so süßes Leben. Laßt uns gründlich überlegen, wie wir uns von ihnen befreien oder wenigstens die Gefahr vermindern können."

Alle Mäuse dachten angestrengt nach und zergrübelten sich ihre Mäusehirne. Sie machten vielerlei Vorschläge und verwarfen sie dann nach reiflicher Prüfung doch wieder. Lange hockten sie so beisammen.

Da sprang ein junger Mäuserich auf und trompetete mit seinem Piepsstimmchen: "Ich hab's, ich weiß, wie wir mit diesen gemeinen Leisetretern fertig werden."

Gespannt schauten alle auf. "Es ist ganz einfach! Denkt an den Hund des Bäckermeisters, der ein Halsband mit Schellen trägt. Wir binden den beiden Katzen eine Glocke um den Hals, dann können sie uns nicht mehr überraschen, und wir hören immer, wann sie nahen und können uns rechtzeitig in Sicherheit bringen."

Tosender Beifall brach los, und mit Begeisterung wurde der Vorschlag angenommen. Sofort wurden zwei mutige Mäuschen in den Keller geschickt, denn man hatte dort einmal eine Schachtel entdeckt, in der der Bäckermeister Semmelreich ein altes Halsband von seinem Hund aufbewahrte. Von diesem sollten die beiden wackeren Mäuse zwei Glöckchen abnagen und herbeibringen. Ein dritter tapferer Mäuserich bot freiwillig an, aus der Backstube zwei Bänder zu besorgen.

Während die drei Helden unterwegs waren, feierten die anderen Mäuse den klugen Mäuseknirps. Sie konnten ihn nicht genug loben, und bald waren sich alle darin einig, daß es nie zuvor einen so weisen Mäuserich gegeben hatte, und daß man ihn mit hohen Ehren auszeichnen müßte.

Gerade hatte man beschlossen, ihm den großen Brezel-Orden zu verleihen, da hörte man ein Gebimmel, und die beiden Mäuse zerrten die Glocken herbei. Gleich darauf kam auch die dritte Maus zurück und zog einen langen Strick hinter sich her. "Der genügt für beide", meinte sie und zerbiß ihn in der Mitte.

Der Mäuseälteste hatte die ganze Zeit über geschwiegen und düster vor sich hingestarrt. Er hatte in seinem Leben schon so viele böse Erfahrungen gemacht, daß er ein mißtrauischer, verschlossener Tropf geworden war.

"Klug ist unser kleiner Held", raunzte er, "das ist nicht zu bezweifeln. Er ist der weiseste von uns allen und wird uns bestimmt jetzt noch verraten, wie er diese Warnsignale den beiden großen Jägern um den Hals bindet."

"Wieso ich?" prustete der kleine Wicht aufgebracht. "Ich hatte bereits eine Idee, jetzt seid ihr an der Reihe. Strengt euch auch einmal an."

Da erhob sich ein wildes Gezeter, und alle schrien durcheinander:
"Ich habe ein Glöckchen besorgt!"
- "Ich auch!"
- "Ich habe den Strick gemopst."
- "Ich bin doch nicht lebensmüde!"
- "Ich auch nicht."
- "Das ist zu gefährlich!"
- "Viel zu gefährlich!"

Der kleine Prahlhans zog sich aber verlegen in seinen Schlupfwinkel zurück.
"Paßt auf, die Katzen!" rief auf einmal einer, und die Versammlung stob auseinander. "Leeres Gerede", brummte der Mäuseälteste und zog ein Mäusekind am Schwanz in sein Nest, das in der Aufregung sein Loch nicht finden konnte und einer Katze fast in die Fänge gelaufen wäre."

*Was nützen die klügsten Worte, wenn man sie nicht in die Tat umsetzen kann!?

Der Löwe und die Maus:

Genau zwischen den Tatzen eines Löwen kam eine leichtsinnige Maus aus einem Erdloch. Der König der Tiere aber zeigte sich wahrhaft königlich und schenkte ihr das Leben.

Diese Güte wurde später von der Maus belohnt - so unwahrscheinlich es zunächst einmal klingt. Eines Tages fing sich der Löwe in einem Netz, das als Falle aufgestellt war. Er brüllte schrecklich in seinem Zorn - aber das Netz hielt ihn fest.

Da kam die Maus herbeigelaufen und zernagte einige Maschen, so daß sich das ganze Netz auseinanderzog und der Löwe sich befreien konnte.

Die Katze und die Ratte:

Eine Ratte lebte unter einer hohen, mächtigen Fichte, deren Astwerk bis auf den Boden hinunter wucherte. Ganz in der Nähe hausten eine Eule, ein Wiesel und eine Katze und alle machten der Ratte das Leben schwer.

Obwohl die Ratte von soviel Feinden umgeben war, konnte sie sich nicht entschließen, ihre Wohnung zu verlassen; denn die alte Fichte ernährte sie ausreichend mit ihrem Samen, der im Frühjahr nur so auf den Boden prasselte. Auch warf der Sturm oft reife Zapfen zu ihr herab, die sich noch nicht geöffnet hatten, und die emsige Ratte schleppte diese dann glücklich in ihr Nest und sammelte so reichlich Vorrat für das ganze Jahr.

Eines Morgens hörte die Ratte ein herzzerreißendes Miauen. Sie lächelte schadenfroh: "Einem meiner Plagegeister scheint es an den Kragen zu gehen." Das Miauen wurde immer jämmerlicher, und die Ratte blinzelte neugierig aus ihrem Loch. Aber sie konnte nichts sehen.

Vorsichtig tapste sie in die Richtung, aus der das Klagen kam. Da entdeckte sie die Katze, die sie schon so oft in Angst und Schrecken versetzt hatte. Sie war in eine Falle geraten. "Das geschieht dir recht!" rief die Ratte ihrer Feindin zu.

Die Katze aber schlug ihre sanftesten Schmeicheltöne an und schnurrten "Liebe Freundin, deine Güte und Liebenswürdigkeit ist überall bekannt. Ich habe dich vor allen anderen Tieren dieser Gegend verehrt und geliebt. Jetzt, da ich dich sehe, muß ich sagen, es reut mich keinen Augenblick, daß ich dich stets behütet und beschützt habe. Nun kannst du mir dafür deinen Dank erweisen und mir aus diesem teuflischen Netz heraushelfen. Irgendein Taugenichts muß hier gestern dieses Netz ausgelegt haben."

"Ich dich retten?" fragte die Ratte belustigt, die keineswegs von den süßlichen Worten ihrer Todfeindin beeindruckt war. "Was bietest du mir denn zur Belohnung an?"

"Meine ewige Treue und unbedingte Hilfe gegen alle deine Feinde", antwortete die Katze. Die Ratte entgegnete: "Gegen alle anderen Feinde, das mag wohl sein, aber wer schützt mich vor dir?" -"Ich schwöre es dir bei meinen scharfen Krallen", beteuerte die Katze.

Die Ratte wollte spottend in ihr Loch zurückkehren, da versperrte ihr das kurzschwänzige Wiesel den Weg und funkelte sie wild an. Gleich darauf rauschte auch noch der Waldkauz herbei. In ihrer Not überlegte die Ratte keinen Moment, sondern flitzte zur Katze und zerbiß eilig das Netz.

Das Wiesel lief herausfordernd auf die Katze zu, um ihr die Beute abzujagen. Flugs sprang die Ratte hinter ihre neuverbündete Freundin. Doch sofort streckte der Waldkauz seine Krallen nach der Ratte aus.
Da drang ein wütendes Bellen zu den Streitenden herüber. Wiesel, Waldkauz, Katze und Ratte flohen in verschiedene Richtungen. Ein Jäger war mit seinen Hunden unterwegs, um die Fallen, die er aufgestellt hatte, zu kontrollieren.

Einige Tage später lugte die Ratte aus ihrem Loch, um zu erkunden, ob der Weg frei sei, da spritzte die Katze auf sie zu. Schnell fuhr die Ratte zurück.

"Warum fliehst du vor mir, liebe Freundin, als wäre ich dein Feind?" fragte die Katze scheinheilig. "Ich verdanke dir doch mein Leben und bin dein bester Freund. Komm, laß dich zum Dank für deine Hilfe küssen."

"Ich pfeif' auf deinen Dank, du falsche Heuchlerin. Glaubst du, ich wüßte nicht, daß ich nur dem Hund mein Leben verdanke, der euch alle in die Flucht schlug?

Du kannst deine Natur nicht verleugnen, auch nicht mit einem noch so heiligen Freundschaftseid, zu dem dich allein die Not gezwungen hat. Du bist und bleibst eine mörderische Katze." Und mit diesen Worten zog sich die Ratte tief in ihr Loch zurück.

Der Kater und die alte Ratte:

Ein Mäusevölkchen hatte sich in einer Mühle angesiedelt und führte ein vergnügtes Leben. Gleich neben der Mühle hinter dem Wasserrad hausten ein paar Ratten, die hin und wieder in der Mühle auftauchten, um einige Kömer zu stibitzen.

Eines Tages mietete sich ungebeten ein wilder Kater beim grauen Trippelvölkchen ein und wütete so mörderisch unter diesem, daß sich bald keine einzige Maus und Ratte mehr aus ihrem Loch heraustraute.

Da griff der böse Jäger zu einer List. Er band sich ein Seil um seine eine Hinterpfote und krallte sich mit dieser an einem Sack, der an der Wand hing, fest. So baumelte er mit dem Kopf nach unten und stellte sich tot.

Alle Mäuse glaubten, daß der Müller den Bösewicht beim Stehlen von Käse und Fleisch ertappt und zur Strafe aufgehängt hatte. Erfreut schossen sie aus ihren Verstecken hervor und fielen ausgehungert über das frische Korn her.

Auf einmal löste der Kater seine Krallen aus dem Sack und stürzte sich auf die ahnungslosen kleinen Fresser. Nur wenige von ihnen konnten sich rechtzeitig in ihre Schlupflöcher retten. "Auch euch erwische ich noch!" zischte er grimmig.

Die Mäuse und Ratten, die den hinterhältigen Überfall überlebt hatten, waren erheblich vorsichtiger geworden, und der Kater lauerte vergeblich auf seine Beute.

Eines Abends war der fürchterliche Räuber verschwunden. Er tauchte auch am folgenden Tag nicht wieder auf. Dafür lag am Morgen darauf mitten in der Mühle ein dicker Mehlsack. Das Mehl war herausgerieselt, und ein hoher weißer Haufen breitete sich vor dem Sack aus.

Die Mäuse und Ratten schoben zaghaft ihre Nasen aus den Gängen hervor, schnupperten neugierig und zogen sich dann wieder ängstlich zurück. Doch schließlich waren sie davon überzeugt, daß der schreckliche Kater endlich ihr Reich wieder verlassen hatte. Sie wurden mutiger und trippelten vorsichtig auf den großen weißen Haufen zu.

Eine alte, erfahrene Ratte warnte sie: "Geht nicht dorthin. Seit wann streut der Müller euch freiwillig sein Mehl vor die Nase? Hinter diesem Mehlhügel steckt gewiß irgendeine List."

Die anderen aber entgegneten ihr: "Niemand hat den Kater seit zwei Nächten mehr gesehen. Bestimmt hat er den hoffnungslosen Kampf mit uns aufgegeben und ist ausgewandert. Wir sind ihm zu klug geworden." Und sie tanzten auf dem Mehlhaufen herum.

Im selben Augenblick bewegte sich der weiße Berg, und der Kater sprang mit einem Ruck aus dem Mehl.

Er war, um seine Opfer zu täuschen, fortgegangen, hatte sich dann am Morgen heimlich im Bach gewaschen und war lautlos in die Mühle zurückgeschlichen. Dort hatte er einen Mehlsack umgerissen und sich gründlich im Mehl gewälzt.

Die alte, schlaue Ratte, die dem Frieden nicht trauen wollte, war als einzige diesem tückischen Anschlag entkommen. Sie rief dem Kater zu: "Selbst wenn ich wüßte, daß du tot bist, würde ich mich nicht in deine Nähe wagen."

Der Hase mit den Hörnern:

Ein Häschen tummelte sich ausgelassen an einem wunderschönen Sommermorgen auf einem freien Plätzchen, das von dichtem Buschwerk umgeben war. Hier fühlte es sich sicher. Vergnügt hopste es über ein paar Heidebüschel, sauste übermütig im Kreis herum und wälzte sich mit Wohlbehagen im sonnengewärmten Sand. Es zersprang fast vor Lebenslust und wußte vor Glück nicht wohin mit seinen Kräften.

Aber plötzlich duckte es sich blitzartig in einer kleinen Erdmulde nieder. Ein Hirsch setzte über die Büsche hinweg, und gleich darauf folgte ein Widder. Danach trampelte auch noch ein schwerer Stier respektlos quer durch das sonnige Morgenreich des kleinen Häschens.

"Unverschämte Bande", kreischte das Häschen, "mir meinen schönen Morgen so zu verderben!" Kaum hatte es sich wieder aufgerappelt, sprang eine Ziege über die Sträucher. "Halt", schrie das Häschen, "was soll das bedeuten, wo läuft ihr denn alle hin?"

Die Ziege, die immer zu einem Streich aufgelegt war, schaute lange und ernst auf die Ohren des Häschens, dann meckerte sie: "Hast du denn noch nicht von dem neuen Gesetz des Königs gehört? Ein kühner Bruder von mir stieß zufällig den Löwen mit seinen prächtig geschwungenen Hörnern in die Seite. Doch der König verstand keinen Spaß und befahl, daß alle Tiere, die Hörner tragen, sein Land verlassen müßten. Wer heute abend noch hier verweilt, wird mit dem Tod bestraft. Ich muß mich beeilen. Lebe wohl, Meister Langohr."

"Sonderbar", dachte das Häschen, welches nicht so schlau war wie sein Großvater, "der Löwe treibt seine Beute aus dem Land? Höchst sonderbar."

Auf einmal fuhr das Häschen zusammen. Jetzt ahnte es, warum die Ziege es so seltsam angegafft hatte. Natürlich, das war es. Im Sand erblickte das Häschen die Schatten seiner Ohren. Sie erschienen ihm riesengroß, und es befürchtete, daß der König seine Ohren für Hörner halten könnte.

"Was mach' ich nur, was mach' ich nur?" wiederholte der Hasenfuß und zitterte wie Gras im Wind. "Hier bin ich geboren, hier bin ich aufgewachsen, hier kenne ich jeden Grashalm. Ich mag nicht auswandern. Ach, wären meine Ohren so klein wie die einer Maus."

Eine Grille hatte die Worte der Ziege gehört, und als sie nun das dumme Häschen so jammern hörte, lachte sie. "Du dummer Angsthase, die Ziege hat dir nur Hörner aufsetzen wollen. Was du wirklich an deinem Kopf hast, sind ganz gewöhnliche Ohren."

"Hier aber hält man sie für Hörner", gab das Häschen traurig zur Antwort. "Was hilft es mir, daß ich, du und der liebe Gott wissen, daß es Ohren sind, wenn es der Löwe nicht glaubt." Und ängstlich lief das Häschen in ein anderes Land.

Der Rabe und der Fuchs:

Ein Rabe saß auf einem Baum und hielt im Schnabel einen Käse, den er verzehren wollte. Da kam ein Fuchs daher, vom Geruch des Käses angelockt.

"Ah, guten Tag, Herr von Rabe!" rief der Fuchs. "Wie wunderbar Sie aussehen! Wenn Ihr Gesang ebenso schön ist wie Ihr Gefieder, dann sind Sie der Schönste von allen hier im Walde!"

Das schmeichelte dem Raben enorm, und das Herz schlug ihm vor Freude höher. Um nun auch seine schöne Stimme zu präsentieren, machte er den Schnabel weit auf - da fiel der Käse hinunter.

Der Fuchs schnappte ihn auf und sagte:

"Mein guter Mann, nun haben Sie es selbst erfahren:


*Ein Schmeichler lebt auf Kosten derer die ihn anhören - diese Lehre ist mit einem Stück Käse wohl nicht zu teuer bezahlt."

Der Rabe, bestürzt und beschämt, schwur sich selbst, daß man ihn nicht wieder so leicht anführen sollte - aber für dieses Mal war es ein bißchen zu spät.

Der Hase und die Frösche:

Ein Hase saß in seinem Lager und grübelte.

"Wer furchtsam ist«, dachte er, "ist eigentlich unglücklich d'ran! Nichts kann er in Frieden genießen, niemals hat er ein ungestörtes Vergnügen, immer gibt es Aufregung für ihn. Ich schlafe vor Angst schon mit offenen Augen. Das muß anders werden, sagt mir der Verstand. Aber wie?"

So überlegte er. Dabei war er aber immerwährend auf der Hut, denn er war nun einmal mißtrauisch und ängstlich. Ein Geräusch, ein Schatten, ein Nichts - alles erschreckte ihn schon.

Plötzlich hörte er ein leichtes Säuseln. Sofort sprang er auf und rannte davon. Er hetzte bis an das Ufer eines Teiches. Da sprangen die aufgescheuchten Frösche alle ins Wasser.

"Oh", sagte der Hase, "sie fürchten sich vor mir! Da gibt es also Tiere, die vor mir, dem Hasen, zittern! Was bin ich für ein Held!"

*Da kann einer noch so feige sein, er findet immer einen, der ein noch größerer Feigling ist.



 Literatur zum Thema: 

Jean de la Fontaine / "Sämtliche Fabeln",
Patmos-Verlag, 2002, ISBN: 3-491-96100-9.

* Besonders schön sind darin die (über 240) Illustrationen (Stiche) vom Meister der satirischen Bilder: Grandville (Karikaturist: Jean Ignace Isidore Gerard (*1803 +1847)).
Es gibt Ausgaben von: Gullivers Reisen, Don Quijote, La Fontaines Fabelsammlung ... mit wirklich treffenden Bildern von Grandville.

p.s. Der Übersetzer der hier angedruckten Fabeln ist uns leider nicht bekannt!


© Texte & Layout (wispor.de) Münster