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  Gedichte: Erich Mühsam

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  Gedichte:

  • Bürgers Alpdruck
   »Was sinnst du, Bürger, bleich und welk?
    Hält dich ein Spuk zum Narren?...«


  • Kalender 1913
   »Januar:
    Der Reiche klappt den Pelz empor,
    und mollig glüht das Ofenrohr...«


  • Meine Seele ist so fremd
   »Meine Seele ist so fremd
    allem, was als Welt sich preist, ...«




Dt.-sprachige Literaten
(*19. Jh., †chron.):

†1827 Wilhelm Hauff†1836 Christian Dietrich
Grabbe
†1837 Georg Büchner†1850 Nikolaus Lenau†1862 A Johann Nepomuk
Nestroy
†1863 Friedrich Hebbel†1868 A Adalbert Stifter†1875 Georg Herwegh†1875 Eduard Mörike†1876 Ferdinand Freiligrath†1883 § Karl Marx†1888 Theodor Storm†1890CH  Gottfried Keller†1895 Gustav Freytag†1898 Theodor Fontane†1898CH  Conrad Ferdinand
Meyer
†1900 § Friedrich Nietzsche†1903 Ch. M. Th. Mommsen
(NP: 1902)
†1908 Wilhelm Busch†1910 Wilhelm Raabe†1914 A  Bertha Freifrau
von Suttner
†1914 Paul Heyse
(NP: 1910)
†1914 Christian Morgenstern†1914 # Georg Trakl†1916 Rudolf Eucken
(NP: 1908)
†1916 A  Marie
von Ebner-Eschenbach
†1918 Frank Wedekind†1924CH  Carl Spitteler
(NP: 1919)
†1924 Franz Kafka†1926 Rainer Maria Rilke†1927 Hugo Rudolf Ball†1928 Klabund†1929 A Hugo von
Hofmannsthal
†1931 A   Arthur Schnitzler†1934 Erich Mühsam†1934 Joachim Ringelnatz†1935 # Kurt Tucholsky†1936 Karl Kraus†1940 # Walter Hasenclever†1940 # Walter Benjamin†1942 A Robert Musil†1942 A # Stefan Zweig†1944 Isolde Kurz†1945 Else Lasker-Schüler†1946 Gerhart Hauptmann
(NP: 1912)
†1947 Ricarda Huch†1947 Hans Fallada†1950 Heinrich Mann†1955 Thomas Mann
(NP: 1929)
†1956 Gottfried Benn†1956 DDR Bert(old) Brecht†1957 Alfred Döblin†1958 Lion Feuchtwanger†1962 Hermann Hesse
(NP: 1946)
†1964 Agnes Miegel†1967 Oskar Maria Graf†1970 Nelly Sachs
(NP: 1966)
†1970 Erich Maria Remarque†1976  CH  Robert Walser†1977 Carl Zuckmayer
†1949 = Texte frei ab 01.01.2020

NP: = Nobelpreis

A = Österreich | CH = Schweiz
§= Philosoph| #= Selbstmord
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 Erich Mühsam  


 'Meine Seele ist so fremd'
  Erich Mühsam,


c_1491m.jpg © wispor.de

Meine Seele ist so fremd
allem, was als Welt sich preist,
allem, was das Leben heißt.

Meine Seele ist so rein –
keine Scham ist ihr zu eigen. –

Nackend steht sie, ohne Hemd
abseits eurem Lebensreigen. –
Darum nennt ihr sie gemein.

Meine Seele weiß es kaum,
daß ihr schmähend sie verflucht; –
sie tut keiner andern wehe; –
ihren fernen, fremden Traum
stört nicht einmal eure Nähe! – –

Meine Seele sucht. – Sie sucht.


 'O Mitmensch, willst du sicher sein'
  Erich Mühsam,


b_9528m.jpg © wispor.de

O Mitmensch, willst du sicher sein
in deinem Treiben und Getue,
so schau in Nachbars Kämmerlein,
in Nachbars Bett, in Nachbars Truhe.

Und wie er's hält und wie er's macht,
richt deinen Wandel ein desgleichen,
auf daß der Nachbar in der Nacht
getrost darf in dein Zimmer schleichen.

So wirst du in der Sympathie
der Zeitgenossen wohl bestehen,
und niemand braucht als Schweinevieh
und Lumpen scheel dich anzusehen.

Nur das Besondere mißfällt,
das Eigne und Originale.
Ein kluger Mitmensch aber hält
sich allezeit an das Normale.


 'Kalender 1913'
  Erich Mühsam,


b_9528m.jpg © wispor.de


Januar:
Der Reiche klappt den Pelz empor,
und mollig glüht das Ofenrohr.
Der Arme klebt, daß er nicht frier,
sein Fenster zu mit Packpapier.

Februar:
Im Fasching schaut der reiche Mann
sich gern ein armes Mädchen an.
Wie zärtlich oft die Liebe war,
wird im November offenbar.

März:
Im Jahre achtundvierzig schien
die neue Zeit hinaufzuziehn.
Ihr, meine Zeitgenossen wißt,
daß heut noch nicht mal Vormärz ist.

April:
Wer Diplomate werden will,
nehm sich ein Muster am April.
Aus heiterm Blau bricht der Orkan,
und niemand hat`s nachher getan.

Mai:
Der Revoluzzer fühlt sich stark.
Der Reichen Vorschrift ist ihm Quark.
Er feiert stolz den ersten Mai.
(Doch fragt er erst die Polizei.)

Juni:
Mit Weib und Kind in die Natur
zur Heilungs-, Stärkungs-, Badekur.
Doch wer da wandert bettelarm,
Den fleppt der würdige Gendarm.

Juli:
Wie so ein Schwimmbad doch erfrischt,
wenn`s glühend heiß vom Himmel zischt!
Dem Vaterland dient der Soldat,
kloppt Griffe noch bei dreißig Grad.

August:
Wie arg es zugeht auf der Welt,
wird auf Kongressen festgestellt.
Man trinkt, man tanzt, man redet froh,
und alles bleibt beim status quo.

September:
Vorüber ist die Ferienzeit.
Der Lehrer hält den Stock bereit.
Ein Kind sah Berg und Wasserfall,
das andre nur den Schweinestall.

Oktober:
Zum Herbstmanöver rücken an
der Landwehr- und Reservemann.
Es drückt der Helm, es schmerzt das Bein.
O welche Lust, Soldat zu sein!

November:
Der Tag wird kurz. Die Kälte droht.
Da tun die warmen Kleider not.
Ach, wärmte doch der Pfandschein so
wie der versetzte Paletot!

Dezember:
Nun teilt der gute Nikolaus
die schönen Weihnachtsgaben aus.
Das arme Kind hat sie gemacht,
dem reichen werden sie gebracht.


 'Bürgers Alpdruck'
  Erich Mühsam,


c_2919m.jpg © wispor.de

Was sinnst du, Bürger, bleich und welk?
Hält dich ein Spuk zum Narren?
Nachtschlafend hörst du im Gebälk
den Totenkäfer scharren.
Er wühlt und bohrt, gräbt und rumort,
und seine Beine tasten
um Säcke und um Kasten.

Horch, Bürger, horch! Der Käfer läuft.
Er kratzt ans Hauptbuch eilig.
Nichts, was du schwitzend aufgehäuft,
ist seinen Fühlern heilig.
Der Käfer rennt. Der Bürger flennt.
In bangen Angstgedanken
fühlt er die Erde wanken.

Ja, Bürger, ja - die Erde bebt.
Es wackelt deine Habe.
Was du geliebt, was du erstrebt,
das rasselt jetzt zu Grabe.
Aus Dur wird Moll, aus Haben Soll.
Erst fallen die Devisen,
dann fällst du selbst zu diesen.

Verzweifelt schießt die Bürgerwehr
das Volk zu Brei und Klumpen.
Ein Toter produziert nichts mehr,
und nichts langt nicht zum Pumpen.
Wo kein Kredit, da kein Profit.
Wo kein Profit, da enden
Weltlust und Dividenden.

Hörst, Bürger, du den Totenwurm?
Er fährt durch Holz und Steine,
und sein Geraschel weckt zum Sturm
des Leichenvolks Gebeine.
Ein Totentanz macht Schlußbilanz
und schickt dich in die Binsen
samt Kapital und Zinsen.










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